Die Entstehungsgeschichte
„Mein Ansinnen war es, dass jeder Mensch zu sich selbst kommen dürfe“. Diese innere Ausrichtung war für Hanna Lore Scharing (1920-2011) wie ein Kompass, an dem sie sich bei der Entwicklung ihres Übungsweges orientierte. Im Lauf von vierzehn Jahren hat sie dabei durch eigenes Üben und durch die Erfahrung mit zumeist kranken Menschen ein Konzept erarbeitet, das sich seit Jahrzehnten bewährt hat. Die Zusammenfassung dieses Konzepts liegt in den Sieben Prinzipien, die organisch aufeinander aufbauen.
Erste Weichenstellungen
Als einschneidenden Beginn ihres Weges markiert Hanna Lore Scharing den 1. März 1958. An diesem Tag hatte sie den Impuls, ihren bisherigen Beruf als Bilanzbuchhalterin aufzugeben, um die Erfahrungen zu vertiefen und weiterzugeben, die sie seit einiger Zeit am eigenen Leib gemacht hatte. Seit ihrer Kindheit war sie von schwacher Gesundheit gewesen. Die sogenannte Scheuermann’sche Krankheit – eine deformierende Wirbelsäulenerkrankung - hatte zudem dazu geführt, dass sie ständig unter starken Rückenschmerzen litt. „In sitzender Position hoffte ich, bis zu einer eventuellen Pensionierung den Arbeitsalltag durchhalten zu können“ – so Hanna Lore Scharing im Rückblick auf ihre Zeit als Bilanzbuchhalterin in einer Holzgroßhandlung.
Da sie sich mit dieser Perspektive aber immer weniger abfinden konnte, begann sie aus eigenem Antrieb damit, ihren Rücken zum Boden fühlen zu lassen. „Meine täglichen Übungen bestanden auch darin, mich immer mehr in die Wirbelsäule einzuleben. Sie kräftigte sich…“ und nach einigen Monaten konsequenten Übens „waren die rasenden Schmerzen wie weggeblasen“.
Ausbildung zur Atemtherapeutin und Masseurin
Diese grundlegende Erfahrung am eigenen Leib war für Hanna Lore Scharing der Ausgangspunkt, eine ganzheitliche Übungsweise zu entwickeln. Denn es ging ihr nicht nur um die körperliche Ebene. Es ging ihr um die Gestaltung des ganzen Menschen mit Leib, Seele und Geist.
Mit dieser Einstellung ließ sie sich in Freudenstadt zur Atemtherapeutin und später in Freiburg zur Masseurin ausbilden. Bereits während dieser Ausbildungen war sie in verschiedenen Einrichtungen – unter anderem in einer Klinik und einem Kurhaus – atemtherapeutisch tätig und behandelte auch privat Patienten, die ihr von zwei Ärztinnen vermittelt worden waren.
„Da ich hauptsächlich kranke Menschen zu unterrichten hatte, war es mir möglich, das Wesentliche zu deren Hilfe langsam und fortschreitend einzusetzen“, so beschreibt Hanna Lore Scharing rückblickend ihren eigenen Lernprozess. „Ich hatte mich z.B. mit dem Begriff des ‚Loslassens’ zu befassen. Sobald ich dieses Loslassen bei mir oder anderen übend versuchte, merkte ich, dass sich nicht angesprochene Körperbereiche dafür erneut anspannten. Es trat auch der Fall ein, dass dabei die Gliedmaßen, Arme oder Beine wie leblos da hingen. Der Leib wurde also nicht mehr ‚durchgeistet’. Deshalb konnte ich das Loslassen nicht mehr üben. Wichtig hingegen wurde das Kontaktnehmen. Das ‚Lassen’-Lernen wurde möglich mit dem Kontaktüben und dem Innenraumtasten. Sofort verändert sich dabei die Tonusqualität, und ohne dass man sich bewegen müsste, geschieht Bewegtheit im Körper“.
Eigene Praxis und erste Kurse
Am 1. März 1966 konnte Hanna Lore Scharing schließlich in Freiburg eine eigene Praxis eröffnen. Sie nannte sie „Studio für Atempflege – Orthostatische Übungen“. Der Zulauf durch einzelne Patienten und Patientinnen war enorm, so dass immer mehr auch die Nachfrage nach Kursen entstand. Zunächst waren es Musiker und Musikstudenten, die sie unterrichtete, später kamen Masseure und Masseurinnen hinzu.
Innerhalb von weiteren sechs Jahren ist so ein Kurskonzept herangereift, das einem größeren Personenkreis angeboten werden konnte. Im März 1972 fand deshalb in St. Peter im Schwarzwald der erste Grundkurs statt, der eine Zeitdauer von neun Tagen hatte. Unter dem Titel „Rhythmus-Atem-Bewegung auf eutonischer Grundlage“ fanden sich 25 Teilnehmer/innen ein, die teils bereits geübt hatten, teils neu waren.
Weitere Grundkurse schlossen sich an, ebenso Aufbaukurse für diejenigen, die schon länger mit der Übungsweise vertraut waren.
Später kamen noch sogenannte „Stimme-Kurse“ und „Bewegungskurse“ dazu.
Grundlage all dieser Kurse waren und sind die Sieben Prinzipien, die zwar eine Orientierung geben, aber nicht als starres Korsett gelten. „Es war mir selbstverständlich, dass die Übungsweise trotz eines Konzeptes auch lebendig sein und bleiben sollte“, so Hanna Lore Scharing.
Ausbildungsseminar
Im stets neuen „Hören auf das, was sein soll“ (Prinzip sieben der Übungsweise) hat sich Hanna Lore Scharing dann dafür entschieden, eine Schule zu gründen. Das erste Ausbildungsseminar begann im Oktober 1975 in Gernsbach mit zwölf Teilnehmenden. Es dauerte zwei Jahre und umfasste sechs Mal acht Wochen. Zur Übungsweise als solcher kamen noch verschiedene andere Fächer hinzu (z.B. Anatomie, Physiologie, Umgang mit Sprache und Stimme, Pantomime, Kochen und anderes mehr). Dafür standen verschiedene Lehrkräfte zur Verfügung, die selbst in der Methode von Rhythmus-Atem-Bewegung bewandert waren.
Auch wenn sich Dauer und Struktur dieser sogenannten „Großen Seminare“ immer wieder verändert haben, so sind die Grundlagen doch geblieben.
Im Jahr 2018 fand bereits das fünfzehnte Ausbildungsseminar seinen Abschluss.
1985 wurde ein Lehrer/innen-Gremium ins Leben gerufen, das anfangs aus zwei ausgebildeten Lehrerinnen bestand. Heute hat sich dieser Kreis vergrößert.
1987 wurde der Verein „Fördergemeinschaft für Rhythmus-Atem-Bewegung, Lehr- und Übungsweise nach H. L. Scharing“ gegründet.
Und schließlich fand im April 1988 das erste Lehrer/innen-Treffen in Gernsbach statt, das nach wie vor drei bis vier Mal im Jahr angeboten wird.
Bewegung und Tanz
„Ich hatte damals vor allem die Vision, dass die Übungsweise zum Tanz führen sollte“. Diese Vision Hanna Lore Scharings begann immer mehr Gestalt anzunehmen. Zunächst hat sie selbst „Bewegungskurse“ als eine erweiterte Form der bekannten Übungsweise angeboten.
Im Jahr 2008 ist daraus die Schule für Bewegung auf der Grundlage von Rhythmus-Atem-Bewegung, Lehr- und Übungsweise nach H.L. Scharing entstanden. Die Leitung haben Victoria Alexandre Jensen und Klaus Jensen – beide ausgebildet in der Übungsweise von Hanna Lore Scharing.